Pädagogisches Reiten
"Wer darf heute als erstes auf Anne sitzen?"
Schon im Bus auf der kurzen Fahrt zum nahegelegenen Reiterhof 'Hofgut Eich' in Geislitz herrscht Aufregung. Das Pädagogische Reiten ist eins der großen Highlights für viele unserer Schüler:innen.
Drei bis fünf Schüler:innen der Martinsschule bilden für mindestens ein Halbjahr, oft sogar für ein ganzes Schuljahr, eine beständige Reitgruppe. Die Schüler:innen weisen sehr unterschiedliche Behinderungsbilder auf, sie bringen unterschiedliche Fähigkeiten und Möglichkeiten mit, haben unterschiedliche Bedarfe. Doch unter dem Aspekt des 'erlebnisorientierten Reitens' und den Grundsätzen des 'heil- und motopädagogischen Reitens' profitieren sie alle von der intensiven Arbeit mit dem Pferd, am Pferd, auf dem Pferd und um das Pferd herum.
Die Reitstunde startet, sobald unser Kleinbus parkt und die Schüler:innen aussteigen. Zunächst werden Anne oder Dicky, unsere Therapiepferde, am Stall oder Platz abgeholt und von allen liebevoll begrüßt. Anschließend beginnt das Pflegen, Satteln und Trensen. Bei all diesen Arbeiten sind die Schüler:innen aktiv beteiligt. Erst dann geht es zum eigentlichen Reiten. Abwechselnd darf jedes Kind auf das Pferd. Die anderen Schüler:innen führen, bauen einen Parcours, reichen Dinge an... Im gemeinsamen Spielen und Agieren sind alle dabei. Eng begleitet sind die Schüler:innen jederzeit von einer reiterfahrenen Lehrkraft der Martinsschule sowie einer Reitlehrerin vom Hofgut Eich.
Was von den Schüler:innen als Spiel und Spaß wahrgenommen wird, ist tatsächlich noch viel mehr: eine Förderung im ganzheitlichen Sinne.
- Motorik: Bewegungsförderung
(z. B. Gleichgewichtsschulung durch die mehrdimensionale Bewegungsanforderung auf dem Rücken des Pferdes; Feinmotorikschulung durch das differenzierte Arbeiten beim Hufekratzen, Zügeln, Satteln; ...) - Sensorik: Wahrnehmungsschulung
(z. B. taktile Stimulation/ Wahrnehmung durch das Streicheln und Bürsten; visuelle Wahrnehmung durch das genaue Beobachten des Pferdes; ...) - Kognition: geistige Fähigkeiten
(z. B. Erinnerungs- und Merkfähigkeit verbessern durch immer gleiche Abläufe und das Einhalten von Regeln; ...) - Soziale Kompetenz
(z. B. abwarten lernen; sich gegenseitig unterstützen; ...) - Emotionales Verhalten
(z. B. Selbstwahrnehmung/ Fremdwahrnehmung/ Akzeptanz: "Das Pferd nimmt mich so an, wie ich bin."; ...)
Das hochsensible Pferd spiegelt die Schüler:innen in ihrer Haltung und ihrem Agieren und gibt sofort nonverbal und doch ganz präzise eine Antwort auf ihr Verhalten. Es ist immer objektiv, nie beurteilend, nie kritisierend. Das Pferd wird so zum Vertrauten des Kindes und ist ein idealer Lern- und Motivationspartner.
Wir danken unserem Förderverein, die Lebenshilfe Gelnhausen e. V., der unseren Schüler:innen dieses einmalige und wertvolle Unterrichtserlebnis ermöglicht.
Das machen wir, bevor wir reiten: Hufe kratzen und striegeln.
Und dann kann es losgehen!